„Darf ich nochmal was anmerken…?“ – eine Anekdote vom zuhören

14. Mai 2016 - Gastbeitrag / Klettern

Am Wochenende ging es etwas weiter weg als üblich zum klettern. Der Ostbruch bei Brandis in der Nähe von Leipzig war das erklärte Ziel.

Vor Ort präsentierte sich uns ein niedlicher kleiner Steinbruch mit ca. 9-15m hohen Wänden, teils geneigt, teil senkrecht.

Auch einige Kletterer hatten das Gelände bereits okkupiert und ließen ihrem Kletterwillen freien Lauf.

Eine Person stach besonders ins Auge. Ein älterer Herr, der ungefähr 65- 70 Lenze zählte, machte sich gerade daran in einer knallbunten Leggins einen Weg zu ersteigen. Er ging dabei bedächtig und gewissenhaft zu Werke. Gesichert wurde er mittels Tube von seinem 13-14 jährigen Enkel, welcher mittels Standplatzschlinge an seiner Großmutter „befestigt“ war, um den Gewichtsunterschied auszugleichen.

Wir orientierten uns derweil im Steinbruch und die erste Route wurde ausgesucht. Der „Rechte Pfeilerweg“ (IV) sollte es sein- direkt neben dem Herrn in der Leggins, welcher immer noch im Vorstieg begriffen war („linker Pfeilerweg“; III). Es kam, wie es immer kommt- man kommt ins Gespräch. Wir erfuhren (fast ungefragt), dass das ältere Ehepaar hier aus dem Ort sei, sonst ja eher in die Sächsische Schweiz fährt und heute den Enkel das erste Mal nach draußen mitnimmt – „ er klettert sonst nur in der Halle. Ist schon ´ne Umstellung !?!“

Wir ertüchtigten uns an der nächsten Route „Große Kante“ (V) und neben uns wurde der Enkel unter einiger Auferbringung guter Hinweise des Großvaters im Toprope nach oben geleitet.

Bei uns stand die nächste Route auf dem Programm. Allerdings hatte ich mich im Führer verlesen und der „Kleine Überhang“ (VI) war in Wirklichkeit „Kante direkt“(VIIb). Da dieser Schwierigkeitsgrad fast mein oberes Kletterniveau darstellt, war der Einstieg (gleichzeitig Schlüsselstelle) schwierig, zumal ich ja von einer VI ausgegangen war. Da ich mich so schwer tat, beging mein Kletterpartner einen „schweren“ Fehler- er fragte den älteren Herren als „Local“ nach einer Lösungsvariante.

Der Schwall von gut gemeinten Ratschlägen, die danach über mich ergingen, war schier endlos. „Fuß dort hin;… da rechts muss was für die Hand sein- nein nicht so weit rechts“ usw. bis hinzu „wie groß bist du? –WAS? nur 1,72m? –da ist es ja klar, dass du da nicht hinkommst. Ich selbst bin ja 1,76m ; früher glaube ich sogar noch größer; und da war es schon knapp hinzukommen.“

Prinzipiell bin ich für gut gemeinte Ratschläge oder auch aufmunternde Zurufe offen. Aber in diesem Fall wollten die Worte nicht im Kopf die angestrebte Wirkung entfalten. Nach etlichen Versuchen wurde beschlossen, die Route erst mal auszusetzen und Mittag zu halten. Dabei konnten wir dann beobachten, wie der ältere „Local“ sich an den Vorstieg der „Großen Kante“ machte. Mit der Benutzung eines Klebehakens als Tritt (!) schafft er die Route und der Enkel wurde nachgeholt. Auch dieser benutzte fleißig den Klebehaken als Tritt und sogar noch den erreichbaren Ring als Griffmöglichkeit, um die Route zu erklimmen. Es soll ja jeder nach seinem Leistungsvermögen klettern und manchmal überschätzt man sich halt oder wird überschätzt. Aber dass dieser Aussetzer in der Klettertechnik durch die Großeltern nicht korrigiert, geschweige denn auch nur erwähnt wurde, stieß mir schon übel auf und das Ansehen des „Local“ sank beträchtlich.

Die Mittagspause war vorüber und es ging wieder ans Projekt „ Kante direkt“. Wieder begannen die gut gemeinten Ratschläge des älteren Herren. Ich wurde zunehmend frustrierter. Einerseits ob der nicht gelösten Schlüsselstelle aber auch wegen der Hinweise- gerade vor dem Hintergrund des eben gesehenen. Nach einiger Zeit entschloss ich mich, die Route Route sein zu lassen und etwas anderes in Angriff zu nehmen. Nach 2 Routen (IV und VI)- zum Kopf frei klettern – sollte es dann die „Piazwand“ (VIIa) werden. Als ich noch mit dem Kletterpartner den Routenverlauf besprach und Sicherungspunkte zuzuordnen versuchte, kam der „Local“. „Nichts wie weg“ dachte ich und stieg in die Route ein. Nur, der ältere Herr blieb. Ob er meine Körpersprache nicht verstand oder die „Flucht“ nicht wahrgenommen hat, ich weiß es nicht. Ich konnte mir jedenfalls beim Vorsteigen erneut anhören, wie ich die Route zu klettern habe und wo ich entlang gehen solle – obwohl dies gut 1,5 m an den einzigen beiden Sicherungspunkten vorbei geführt hätte. Ich kletterte dann doch eher so, dass ich mich gut dabei fühlte ohne die Schwierigkeit bewusst zu umgehen. Mein Kletterpartner konnte dann im Toprope die „richtige“ Route durch Anweisung des „Local“ klettern. Meine Frustrationsschwelle sank rapide.

Um räumlichen Abstand zwischen uns und den Herren zu bringen sollten die nächste Routen in einem anderen Wandteil bestiegen werden. Kurze Orientierung, die Route aussuchen(Fliegerwand) , Schwierigkeitsgrad checken (VII b), Einstieg. Doch der „Local“ folgte uns. „Schöne Route, bin ich auch schon damals vorgestiegen…“ „Nein . du bist zu weit links- geh mal mehr rechts.“ Ich bin ein geduldiger Mensch, also versuchte ich es ca. einen halben Meter weiter rechts. „ Nein. Soweit auch wieder nicht. Etwas links. Da oben, da müsste…“ Jetzt war es genug. Ich bat mit aller mir noch zur Verfügung stehenden Höflichkeit darum, doch bitte allein klettern zu dürfen. Unter grummeln wurde mir dies genehmigt. Das klettern ging gut, die Sicherungspunkte waren angenehm gesetzt. Ich begann mich gerade zu wundern, warum sich das denn jetzt änderte- schließlich war der letzte Sicherungspunkt bereits 3m unter mir und der nächste noch gut 4 m weg– als es vom Boden erneut tönte „Darf ich noch mal was anmerken?“. Meine Antwort war ein klares und überdeutliches NEIN.

Da die nächsten Meter bis zum Klebehaken kletterbar aussahen, stieg ich weiter und die Route konnte als Rotpunktbegehung abgehakt werden. Beim Ablassen grübelte ich, noch in meinem Ärger über die nicht zu Stande gekommene „Onsight“-Begehung (mir wurde ja ungefragt geholfen), über die Sicherungssituation nach, da kam ich doch glatt an einem Haken vorbei, welcher die Sache wesentlich sicherer gemacht hätte. Ich hatte ihn übersehen! Ob ich ihn auch ohne verbale Beschallung von unten übersehen hätte, kann ich nicht sagen. Ich KANN aber sagen, dass ich den Ratschlag des „Local“ nicht hören wollte. Wahrscheinlich wollte er mir diesen Haken zu Kenntnis geben – das nehme ich jedenfalls an. Er war bereits gegangen als ich unten ankam.

Fazit: Es ist nichts passiert. Aber wenn doch, dann hätte dieser fehlende Klebehaken in der Sicherungskette zwangsläufig zu einem Bodensturz geführt. Wäre ich nicht mental so abgenutzt gewesen, hätte ich zuhören können. In einer (möglichen) Pressmitteilung zum potentiellen Kletterunfall hätte es wahrscheinlich geheißen „ Der Kletterer kam wahrscheinlich wegen Unachtsamkeit beim Vorstieg zu Tode. Die Ermittlungen zur Unfallursache gestalten sich als schwierig.“

Wen träfe die Schuld? Niemanden! Im Nachhinein ist es einfach eine Anekdote, wie es manchmal beim klettern zu gehen kann und keiner, der die Situation nicht erlebt hat, weiß warum.

Vielen Dank für einen weiteren Gastbeitrag.

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